Städtische Samtherrschaft in Spätmittelalter und Früher Neuzeit

Städtische Samtherrschaft in Spätmittelalter und Früher Neuzeit

Organisatoren
Heike Hawicks, Deutsches Rechtswörterbuch, Heidelberger Akademie der Wissenschaften (Heidelberger Akademie der Wissenschaften in Kooperation mit der Heidelberger Rechtshistorischen Gesellschaft)
Ausrichter
Heidelberger Akademie der Wissenschaften in Kooperation mit der Heidelberger Rechtshistorischen Gesellschaft
PLZ
-
Ort
Heidelberg
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
10.10.2023 - 11.10.2023
Von
Katharina Falkson, Forschungsstelle Deutsches Rechtswörterbuch, Heidelberger Akademie der Wissenschaften

Ziel der Tagung war, wie die Veranstalterin HEIKE HAWICKS (Heidelberg) darlegte, das Thema der (Ge-)Samtherrschaften, also der gemeinschaftlich ausgeübten Herrschaft mehrerer Herrschaftsträger, im Rahmen eines Überblicks zu behandeln – mit spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten im Fokus. Typen von Kondominaten seien von der Entstehung her Grenz- und Nachfolgekondominien. Besonderes Augenmerk sollte hierbei auf die Auswirkungen auf die Bewohner gelegt werden. Anhand von Einzelbeispielen, aber auch übergreifenden Betrachtungen, sollten Fragen nach Dauerhaftigkeit, Gelingen (Konfliktlösung oder Eskalation), Hemmnis beziehungsweise Förderung der städtischen Entwicklung (z.B. in Handel und Gewerbe) unter Berücksichtigung der politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen gestellt werden.

WOLFGANG WÜST (Nürnberg) befasste sich mit dem fränkischen Fürth als „dreiblättrigem Kleeblatt“. Vom 15. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bestand im Marktflecken Fürth die so genannte „Dreiherrschaft“ des Hochstifts Bamberg, der (protestantischen) Markgrafen von Brandenburg-Ansbach und der (protestantischen) freien Reichsstadt Nürnberg. Die Literatur der Nachfolgezeit und die Rechtsgeschichte beurteilten die Auswirkungen der geteilten Herrschaft unterschiedlich, zum Teil als Hemmnis des Fortschritts, zum Teil als förderlich, z.B. für das Gewerbe. Es stelle sich die Frage, wie eine vernünftige Regierung möglich war. Als Beispiel könne die jüdische Gemeinde dienen: Ebenfalls dreigeteilt unterlagen die jüdischen Bewohner jeweils unterschiedlichen Reglements; trotzdem wuchs die Gemeinde stark, was Fürth im 17. Jahrhundert den Beinamen „fränkisch-bayrisches Jerusalem“ einbrachte. Die Rechtssicherheit im Ort und bezüglich des Gewerbes wurde dadurch gewährleistet, dass Amtspersonen der jeweiligen Herrschaft gemeinsam – die Anzahl richtete sich nach der Größe des Anteils – den Gemeinderat stellten; der Bürgermeister wurde aus dem Rat gewählt, im Wechsel der Herrschaften; auch die Gerichte waren jährlich wechselnd aus den drei Teilen besetzt (konfessionelle Unterschiede spielten hier offenbar keine große Rolle). Die Gemeindegelder wurden gemeinsam verwaltet. Auch die Strafverfolgung funktionierte über die herrschaftlichen Grenzen hinaus. Ihren Zeitgenossen galt Fürth als eine friedliche Stadt; eine erhöhte Kriminalität könne für Fürth tatsächlich nicht festgestellt werden. Das Zusammenleben gelang vor allem durch ein hohes Maß an schriftlicher Fixierung, wie z.B. die Marktordnungen zeigen, und Korrespondenz unter den Herrschaften. Für die Klärung von Konflikten wurden das Reichskammergericht und auswärtige Appellationsgerichte angerufen. Ein Desiderat der Forschung bleibe die Untersuchung dörflicher Gemeinschaften unter geteilter Herrschaft, wo z.B. Gassengerichte eine Rolle spielten.

Der öffentliche Abendvortrag von EBERHARD ISENMANN (Köln) befasste sich mit den Institutionen, Möglichkeiten und Problemen von städtischer Herrschaft, Regierung und Verfassung. Seit dem 13. Jahrhundert erstarkten die Städte und schufen mit dem (gewählten) Rat als einem Regierungsgremium und ihrer Ratsverfassung ein Gegengewicht zum Stadtherrn. Bis zum 16. Jahrhundert sei so ein neues Gemeinwesen entstanden, das als die „erste Zivilgesellschaft“ bezeichnet werden könne: Kennzeichen hierfür seien Verzicht auf eigenmächtige Gewaltausübung; Partizipation in Rat, Zünften, Gerichten u.Ä.; Autonomie durch Gesetzgebung; administrative Selbstregierung. Die Stadt war eine Rechtsgemeinschaft, zwar immer noch dem Stadtherrn als Schutz- und Schirmherrn verpflichtet, aber nach innen eigenständig. Leitgedanke dabei war der „gemeine Nutzen“, dem Rat und Bürger durch Eid verpflichtet waren. Ratsordnungen und weitere Literatur der Zeit schufen eine eigene politische Kultur. Selbstgegebene Statuten, Willküren u.ä. regelten das Zusammenleben („gute Polizei“), Handel und Gewerbe (z.B. Marktordnungen), alles sollte stets dem gemeinen Nutzen verpflichtet sein. Endpunkt dieser Entwicklung seien die Stadtrechtsreformationen, in denen sich die Stadt als eine Art „Staat“ zeigt. Ein herausragendes Beispiel hierfür sei Köln: Hier verbriefte der Transfixbrief von 1513 die Freiheitsrechte der Bürger. Die Position des Stadtherrn allerdings blieb in vielen Fällen unangefochten: Die juristische Literatur der Zeit begründet (erstmals) juristisch die Vorherrschaft des Stadtherrn, so z.B. des Kaisers als Herrn der reichsfreien Städte.

ALEXANDER JENDORFF (Gießen) analysierte das Phänomen der städtischen Samtherrschaft auf drei Ebenen: Auf 1. der rechtshistorischen Ebene lasse sich feststellen, dass das Stadtkondominium in der Forschung seit dem 19. Jahrhundert niemals explizit behandelt wurde. Als meist situativ und aus einer Notlage heraus entstanden erweise sich die städtische Samtherrschaft als schwieriges Untersuchungsobjekt. Auf 2. der phänomenologischen Ebene zeige sie sich als häufiges beziehungsweise „normales“ Phänomen des Mittelalters, insbesondere in Klein- und Kleinststädten auftretend (nie in Reichsstädten), von mittlerer bis langer Dauer, bedingt durch spezifische Interessenslagen (z.B. Pfandkondominium). Kondomini stammten aus allen Ständen. Die gemeinsame Herrschaft verlangte verstärkte kommunikative Verfahren, trieb die Verschriftlichung voran und schuf ein ausgeprägtes Rechtsbewusstsein der beteiligten Parteien. Auf 3. der fallspezifisch-exemplarischen Ebene dienten zwei „unechte“ Stadtkondominien als Beispiele: Alzenau, eigentlich eine kurmainzische Landstadt, und Limburg, ein Pfandkondominium, in dem der Landgraf von Hessen seine Herrschaft praktisch nie ausübte. Fazit: Generalisierungen seien beim Stadtkondominium als einem typischen Element der alteuropäischen Herrschaft schwierig. Ein entteleologisierter Blick sei nötig. Ein Desiderat bleibe die intensive Untersuchung einzelner Kondominien.

In seinem Beitrag beleuchtete HANS-JOACHIM HECKER (München) anhand von vier Beispielen den Begriff der „Gesamthand“ als Rechtsprinzip (O. v. Gierke), deren Hauptkriterium das gemeinsam verwaltete Eigentum sei: 1. Der „Münchner Vertrag von 1325“ begründete die gemeinsame Regierung von König Ludwig und König Friedrich dem Schönen als „Gesamthand“; alle Rechtshandlungen eines Vertragspartners mussten vom anderen bestätigt werden. 2. Die Stadt Adelsheim wurde im 15. Jahrhundert von einer Ganerbengemeinschaft regiert, die einen „Burgfrieden“ geschworen hatte; dieser enthielt Regelungen für die Anteilsinhaber bezüglich Verkauf/Verpfändung des Anteils (Zustimmung der anderen), Unterstützung Auswärtiger, Umgang mit den Einwohnern und Konflikten u.v.m. Für die drei Reichsstädte, die 1399 3. Kirchberg an der Jagst erworben hatten, galten ähnliche Regelungen; hier gelang die gemeinsame Verwaltung gut. Als ein Beispiel aus dem Westen des Reichs erscheinen 4. Paréage-Verträge, die eine Mischung aus Kondominat und Protektorat begründeten. Zusammenfassend ließen sich als Beweggründe für Samtherrschaft der Wunsch nach Sicherung und Stärkung nach außen aufzeigen. Bei Kondominaten handelte es sich nicht um Körperschaften, sondern um Verbände.

In einer Einzelfallstudie behandelte ANDREAS DEUTSCH (Heidelberg) die Geschichte der Ganerbengemeinschaft des Marktfleckens Künzelsau. Seit im 14. Jahrhundert erstmals Schwäbisch Haller Familien mit Besitzungen in K. auftraten, wuchs das Ganerbinat stetig, bis Ende des 15. Jahrhunderts Konflikte („Tierberger Fehde“) einen Burgfriedensvertrag nötig machten; Dorf- und Marktordnung folgten. Schlaglichtartig beleuchtete Deutsch die Zeit um 1500: 8 Ganerben, darunter Reichsstände, wie Mainz, Würzburg, Hohenlohe und die Reichsstadt Schwäbisch Hall, regelten ihre gemeinsame Verwaltung vor allem durch Ganerbentage, an denen Rechtssetzung stattfand. Daneben war K. größtenteils selbstverwaltet, was wohl auf das mangelnde Interesse der Ganerben an dem Ort selbst zurückzuführen sei: Sowohl die Nieder- als auch Hochgerichtsbarkeit des Ortes lag in der Verantwortung der Gemeinde, die auch Schultheiß und Richter/Schöffen wählte. Vier Viertelsmeister unter einem Baumeister regelten die Stadtverwaltung; eine große Anzahl von Ämtern zeugte von der Selbständigkeit des Ortes. Steuereinnahmen waren Kommunalsache; die Einkünfte wurden unter den Ganerben aufgeteilt. Ab dem 16. Jahrhundert bezeichneten sich die Künzelsauer selbst als „Bürger“. Zur Stadt wurde K. tatsächlich erst im späten 18. Jahrhundert nur für ein paar Jahre im Ganerbiat, bis es 1802 hohenlohische Amtsstadt wurde.

Über die kurpfälzischen Kondominien gab HIRAM KÜMPER (Mannheim) einen Überblick. Durch ihre spezifische Landesstruktur und Erbteilung (mit ihren Teillinien, z.B. Pfalz-Mosbach) sei die Pfalz sehr unübersichtlich und ihre Kondominien daher rechtshistorisch so gut wie unbearbeitet. Am Beispiel dreier Kondominien wurde dies aufgezeigt: 1. Umstadt wurde 1424 von Fulda an die Pfalzgrafen verpfändet, 1427 unter großem Streit wieder ausgelöst; während die frühe Zeit des Kondominiums von Konsens geprägt war, dominierte die folgenden 300 Jahre Zerstrittenheit. – 2. Ladenburg war seit 1385 ein (Pfand-)Kondominat von Worms und der Pfalz; ein Burgfrieden regelte Gerichtsbarkeit, Besitzrechte u.a. Unter der faktischen Dominanz der Pfalz blühte die Stadt. Zu einer Auslösung des Pfandes kam es nie. – 3. Ebenfalls ein Pfandkondominium war der Flecken Schefflenz im Bauland, das im 14. Jahrhundert mehrfach verpfändet wurde. Bis zum Verkauf des Ortes an die Kurpfalz durch die Weinsberger war die Geschichte des Kondominats extrem konfliktreich. Insgesamt ließe sich beobachten, dass die kurpfälzischen Kondominien alle auf die Zeit der kurpfälzischen Expansion zurückgingen; es handelte sich fast ausschließlich um „unechte“ Kondominate, die aus Verpfändungen entstanden. Ein Desiderat seien weitere Untersuchungen einzelner Kondominien, wobei die Quellenlage sehr gut sei – Dissertationen hierzu seien erwünscht.

Als eine weitere Einzelfalluntersuchung legte CLAUDIA BECKER (Lippstadt) die Geschichte von Lippstadt dar, das nach der Soester Fehde vierhundert Jahre lang unter der Samtherrschaft der Edelherrn zur Lippe und der Grafen von der Mark stand. Im Vertrag von 1445 wurde festgelegt, dass die Samtherren erblich und ewig gemeinsam herrschen, jeder einen Amtmann und abwechselnd den Richter bestimmen; die Stadt sollte ihre Privilegien behalten, aber den Stadtherren huldigen und diese im Kriegsfall unterstützen, wobei jene im Gegenzug Schutz zu gewähren hatten. Als Gemeinde agierte L. recht selbständig, auch außenpolitisch (z.B. in einem Städtebund, in der Hanse). Dies änderte sich im Nachgang der Reformation 1524, die einen Konflikt mit den Stadtherren evozierte und zur Aufgabe der Lippstädter zur Vermeidung einer militärischen Eskalation führte; danach wurde die Stadt entmachtet, z.B. bezüglich Ratswahl oder Wahl des Pfarrers; ab 1535 gab es faktisch keine Eigenständigkeit mehr. In der Folge des Dreißigjährigen Krieges besetzte der Herzog von Brandenburg L., übernahm den Anteil Marks und belastete die Stadt mit Abgaben, Einquartierung und dem Bau einer Stadtbefestigung. Zu einer Auflösung der Samtherrschaft kam es lange durch eine Blockade Lippes nicht; jede Art von Neuerung (z.B. Einführung des Preußischen Landrechts) wurde von Lippe abgelehnt, was der Stadtentwicklung schadete. 1807 kam L. zum Großherzogtum Berg; auch ein neuer Kondominatsvertrag verbesserte den Konflikt mit Lippe nicht. Erst 1848 wurde die Samtherrschaft aufgegeben und L. kam zu Preußen.

Als einen letzten Einzelfall behandelte HEIKE HAWICKS (Heidelberg) die Stadt Xanten, die seit 1392 für nur 52 Jahre unter der Samtherrschaft des Kölner Erzbischofs und der Klever Grafen stand: Zur Beilegung einer Fehde einigten sich die beiden Herren in einem Burgfriedensvertrag auf die gemeinsame Herrschaft, wobei die geistliche Jurisdiktion und das Stift beim Erzbischof blieben; für gemeinsame Angelegenheiten gab es einen Rat; kein Kondominus durfte einem Feind des anderen Geleit geben; die Einkünfte wurden geteilt. Die Untertanen dienten beiden Herren, mussten beiden Heerfolge leisten und im Fehdefall neutral bleiben. Die Konflikte zwischen den Kondomini blieben jedoch bestehen, was 1444 eskalierte und zu einer Einnahme Xantens durch den Klever Grafen führte, mit dem Argument, der Erzbischof habe vorher gegen den Vertrag verstoßen. Für die Bevölkerung ergaben sich durch die – zerstrittene – Samtherrschaft mehr Probleme als Verbesserungen. Leider überwiegen die Dokumente von stadtherrlicher Seite; Quellen aus städtischer Perspektive sind in deutlich geringerer Zahl überliefert.

Die Zusammenschau der behandelten Einzelfälle zeigt die Samtherrschaft als ein häufigeres, in seiner konkreten Ausgestaltung aber jeweils sehr individuelles Phänomen der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städte. Meist aus einer Zwangslage entstanden, konnte das Kondominat die städtische Entwicklung (z.B. in Handel und Gewerbe) fördern oder hemmen, je nach besserer oder schlechterer Kooperation der Stadtherren untereinander. Der Zwang zu Kommunikation und Koordination unter den Kondomini trieb die Entwicklung zu vermehrter Korrespondenz und Verschriflichung z.B. von Verwaltung und Rechtsprechung voran. Um das Bild zu vervollständigen, ist die Untersuchung weiterer Einzelfälle ein Desiderat der Forschung.

Konferenzübersicht:

Dieta Svoboda-Baas (Heidelberg): Begrüßung

Wolfgang Wüst (Nürnberg): Fürth als dreigeteiltes Kleeblatt – Ein fränkisches Kondominium in der frühen Neuzeit

Eberhard Isenmann (Köln): Institutionen, Möglichkeiten und Probleme von städtischer Herrschaft, Regierung und Verfassung

Alexander Jendorff (Gießen): Kondominatorische Stadtherrschaft als herrschaftliche (Un-)Möglichkeit im alteuropäischen Zeitalter

Hans-Joachim Hecker (München): Gemeinsame Stadtherrschaft in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Politische Rahmenbedingungen und rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten

Andreas Deutsch (Heidelberg): Vom Marktort zur Ganerbenstadt: Künzelsau und seine (bis zu) sieben Herren

Hiram Kümper (Mannheim): Kurpfälzische Kondominien: Ursprünge, Herausforderungen, Organisationsformen

Claudia Becker (Lippstadt): Eine „vollkommene Gemeinschaft“? Die lippisch-märkische Samtherrschaft über Lippstadt

Heike Hawicks (Heidelberg): Die Samtherrschaft des Kölner Erzbischofs und der Klever Grafen über Xanten

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